Chirurgische Therapie / Histologie
Jede Operation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Kindes. Er ist - auch in juristischem Sinn - nur gerechtfertigt, wenn sein zu erwartender Nutzen die möglichen Risiken bei weitem übersteigt. Dieses Abwägen orientiert sich am Wissen und der Erfahrung sowie an der ethischen Maxime: jedes Kind so behandeln wie das eigene.
Für den Hyperinsulinismus heißt das:
Hier besteht immer die Indikation für eine chirurgische Entfernung des Fokus, ganz gleich wo er in der Bauchspeicheldrüse sitzt. Denn nur der kleine Fokus, der in der Regel zwischen 5 und 12 mm groß ist, sezerniert im Übermaß Insulin. Kann er vollständig entfernt werden, ist das Kind geheilt. Die gesamte restliche Bauchspeicheldrüse ist völlig gesund und bleibt erhalten. Häufig hat ein Fokus kleine Ausläufer und Mikrosatelliten in der unmittelbaren Umgebung, selten einmal ist ein Fokus sehr groß (mehrere cm), ganz selten kommen zwei Foki vor. Durch das PET-CT ist mit millimetergenauer Präzision vor der Operation bekannt, wo der Fokus zu suchen ist. Zusätzlich werden während der Operation noch der intraoperative Ultraschall und die optische Kohärenztomographie mit Laser eingesetzt, die auch die Ausdehnung des Fokus und seiner Ausläufer aufzeigen können. Zu jedem Stadium der Operation wird in enger Rückkopplung mit der Pathologie durch multiple feingewebliche Untersuchungen sichergestellt, dass nur erkranktes Gewebe entfernt wird. Die Entfernung muss aber unbedingt vollständig sein: verbleibende Fokusanteile in Stecknadelkopfgröße können ausreichen, um eine Heilung zu verhindern. Dabei versuchen wir, den Pankreas- und Gallengang nicht zu berühren, was in den meisten Fällen auch gelingt. Wenn jedoch ein Gangsystem mitten durch den Fokus geht, so ist eine Eröffnung unvermeidbar. Zur Ableitung der Verdauungssäfte gibt es Rekonstruktionsverfahren aus der Erwachsenenchirurgie, bei der die Ernährung und Lebensqualität später normal erhalten bleiben. Diese Operationen werden heute mit Ausnahme der im Kopf der Drüse lokalisierten Foki minimal invasiv, das heißt durch eine Bauchspiegelung (Laparoskopie), durchgeführt. Diese hinterlässt im Bauchraum praktisch keine Verwachsungen und auf der Haut nur minimale Narben. Die Kinder erholen sich sehr rasch von der OP und sind bereits am 2. Tag wieder munter. Da alles fokale Gewebe unter andauernder Kontrolle durch die Pathologie sorgfältig gesucht und entfernt werden muss, dauern diese Operationen in der Regel mehrere Stunden. Dank moderner Kinderanästhesie ist das aber heutzutage kein Problem mehr.
Bei der fokalen Form sind die Erfolgsaussichten der chirurgischen Therapie sehr gut und eine Heilung durch eine einzige Operation ist bei uns die Regel (siehe Literaturliste). Heilung heißt: keine Blutzuckerschwankungen, keine Medikamente, kein Diabetes und kein Blutzuckermessen mehr.
Bis in die 2000er Jahre hinein wurde hier die Bauchspeicheldrüse zu 95 % oder 98 % entfernt, oft schon in den ersten Lebensmonaten des Kindes. Die diagnostischen und medikamentösen Möglichkeiten waren damals noch nicht so gut wie heute. Die Unterzuckerungen waren durch diese ausgedehnten Resektionen zu beherrschen, doch der Preis war hoch: Wie wir heute wissen, entwickeln die meisten der operierten Kinder spätestens in der Pubertät einen Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), der sehr schwer zu behandeln ist. Daher ist heute die rein diffuse Form, bei der also alle Inselzellen der Bauchspeicheldrüse gleichförmig im Übermaß Insulin produzieren, eine Domäne der medikamentösen Therapie. Operationen sind hier nur angezeigt, wenn es trotz optimaler Betreuung immer wieder zu schweren Unterzuckerungen kommt oder die Nebenwirkungen der Medikamente unerträglich sind. In Greifswald wird dann aber nicht mehr fast die gesamte Bauchspeicheldrüse entfernt, da oft auch schon durch eine limitierte Resektion eine deutliche Besserung der Blutzuckersituation zu erreichen ist. Hier ist heute Zurückhaltung angezeigt.
Erst seit kurzem wissen wir, daß die alte Einteilung fokal- diffus der Wirklichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gerecht wird. Es gibt atypische Mosaikformen, bei denen die Bauchspeicheldrüse regional unterschiedlich betroffen ist: Areale mit einer hohen Dichte an kranken Zellen wechseln sich ab mit Arealen, in denen die Inselzellen nur wenig verändert erscheinen oder sogar ganz gesund sind.
Bei entsprechender Technik und Erfahrung kann man im PET-CT Hinweise auf das Vorliegen eines solchen sog. "Leopardenmusters" finden. Dazu ist aber eine enge Zusammenarbeit zwischen hochspezialisierten Nuklearmedizinern, Radiologen, pädiatrischen Endokrinologen, Kinderchirurgen und Pathologen erforderlich. Da vor allem während des Anflutens des Kontrastmittels, also während der dynamischen Akquise der PET-CT Bilder viele wichtige und für den Operationserfolg möglicherweise entscheidende Informationen gewonnen werden können, ist Prof. Barthlen bei jeder PET-CT Untersuchung persönlich anwesend.
Diese detaillierte Differenzierung ist aber deshalb so wichtig, weil es bei der atypischen Mosaikform eine chirurgische Therapieoption gibt: durch die sparsame chirurgische Entfernung nur der am meisten krankhaft veränderten Areale kann es zu einer deutlichen Besserung der Blutzuckersituation kommen. Auch vollständige Heilungen wurden hier schon beschrieben.
Wenn eine adäquate Lebensqualität mit Medikamenten nicht erreicht werden kann, wenn ständige Blutzuckerschwankungen mit Hypoglykämien die Angst um das Kind immer größer werden lassen, kann das folgende Vorgehen angeboten werden:
Wir beraten Sie gerne telefonisch oder per e-mail. Sie können uns jederzeit kontaktieren. Wir helfen bei der Frage der Kostenübernahme durch die Krankenkasse und bei der Organisation des Transports. Wir vermitteln einen Termin für das PET-CT im Diagnostisch-Therapeutischen Zentrum am Frankfurter Tor. Kind und Eltern werden für 2 Tage im Waldkrankenhaus Spandau untergebracht (Direktor: PD Dr. Frank Jochum). Die Narkose wird von dem erfahrenen Kinderanästhesisten Dr. med. Stephan-Matthias Reyle-Hahn geleitet. Prof. Barthlen ist während der gesamten PET-CT Untersuchung selbst anwesend.
Noch am Abend des Untersuchungstages können wir Ihnen mitteilen, ob und welche chirurgischen Therapieoptionen für Ihr Kind bestehen. Wir werden Ihnen ganz offen und ungeschminkt die Vor- und Nachteile, Risiken und Chancen des weiteren Vorgehens darlegen und jede Einzelheit mit Ihnen besprechen. Zusammen mit Prof. Dr. Klaus Mohnike von der pädiatrischen Uniklinik Magdeburg verfügen wir über die modernste Palette der medikamentösen und chirurgischen Therapiemöglichkeiten beim congenitalen Hyperinsulinismus, zum großen Teil haben wir sie mitentwickelt (s. Publikationsliste). Es ist uns sehr wichtig, daß die Eltern genauestens unterrichtet sind und ihr informiertes Einverständnis "informed consent" geben können. Denn es sind die Eltern, die nachher das Kind wieder zu Hause haben und mit der Siutation leben müssen bzw. dürfen.
Wenn eine chirurgische Intervention erfolgversprechend erscheint, so werden durch eine Bauchspiegelung (Laparoskopie) zunächst winzige Gewebestückchen an mehreren Stellen der Bauchspeicheldrüse entnommen und sofort untersucht. Sind alle Inselzellen in allen Arealen gleich betroffen, so liegt eine rein diffuse Form vor. Sie ist eine Domäne der medikamentösen Therapie und die Operation wird beendet. Die durch eine Laparoskopie verursachten Narben sind winzig klein und chirurgische Komplikationen wie Blutungen oder Verwachsungen sind bei entsprechender Technik und Erfahrung extrem selten. Die Eltern nehmen aber die Gewissheit mit, dass keine erfolgversprechende chirurgische Therapieoption besteht und das macht es vielen leichter, das ständige Blutzuckermessen und die Nebenwirkungen der Medikamente zu ertragen.
Sind jedoch in der Bauchspeicheldrüse Areale mit hoher und niedriger Dichte an pathologischen Inselzellen nachweisbar, so liegt eine atypische Mosaikform vor. Es wird dann, in gleicher Narkose, nur der auffälligste Bereich der Bauchspeicheldrüse entfernt. Der größte Teil der Drüse bleibt belassen. In den meisten Fällen gelingt auch das minimal invasiv, d.h. laparoskopisch.
Der Erfolg einer solchen begrenzten Entfernung von Bauchspeicheldrüsengewebe bei atypischen Mosaikformen kann allerdings zurzeit noch nicht sicher vorhergesagt werden: Wir können heute im Einzelfall noch nicht wissen, wie sich die Inselzellen in der verbleibenden Bauchspeicheldrüse verhalten werden. Erste Erfahrungen sind jedoch ermutigend: Es gibt Kinder, die nach einer solchen limitierten Resektion völlig stabile Blutzucker aufweisen und keinerlei Medikamente mehr benötigen. Ein Diabetes später in der Pubertät ist bei ihnen nicht zu erwarten, da ihre Bauchspeicheldrüse zum größten Teil belassen wurde.
Leider gibt es soweit weltweit noch keine andere Methode als die chirurgische Biopsie, um rein diffuse von atypischen Formen zu unterscheiden. Bei COACH wird durch molekularbiologische und genetische Untersuchungen intensiv daran gearbeitet, prognostische Marker zu finden, die uns den Erfolg eines operativen Eingriffs bei diffusen und atypischen Formen des congenitalen Hyperinsulinismus vorhersagen lassen.
Die medikamentösen und chirurgischen Therapiemöglichkeiten bei Hyperinsulinismus sind im Wandel. Die Therapie muss individuell sein, im kinderchirurgischen Zentrum wird sie maßgeschneidert für jedes Kind.